Nach dem Beitrag von Philip Kewisch (laut öffentlichem Linkedin-Profil Senior Add-ons Technical Editor bei Mozilla) im Mozilla-Blog scheint die Diskussion um die Zukunft der quelloffenen E-Mail-Anwendung Thunderbird nun abgeschlossen zu sein. Thunderbird bleibt Teil von Mozilla, wird aber in Sachen Produktentwicklung von der des Firefox-Browsers abgekoppelt und muss sich nun selbst um Geld kümmern. Der Browserbereich gilt als der wohl wichtigste Teil bei Mozilla und muss selbst einige Hausaufgaben erledigen.Bisher sind beide Projekte, Mailclient und Browser bei Mozilla mit recht starker Verzahnung entwickelt worden. Mozilla ist als Stiftung organisiert und koordiniert mehrere Open-Source-Projekte.
Die Diskussion um Thunderbird begann 2015 als ein Newsgroupbeitrag der Mozilla-Stiftungsvorsitzenden Mitchell Baker einige Punkte aufwarf. Dazu gehörte der Hinweis auf potentiell unterschiedliche Ausrichtungen der Projekte Thunderbird und Firefox. Sie sprach von „competing demands„, Anforderungen also, die sich nicht unter einen Hut bringen ließen. Beide Projekte würden bei einer Koexistenz unter dem gemeinsamen Dach Mozilla leiden. Von Abspaltung war die Rede. 2012 wurde die Weiterentwicklung von Thunderbird stark eingeschränkt. Neue Feature-Releases sollte es nur geben, wenn der Code von der Community käme.
Die scharfe Fokussierung von Mozilla auf Firefox scheint auch nachvollziehbar, wenn man sich die Statistiken zur Browsernutzung ansieht. Trend: Chrome gewinnt hinzu, Firefox, einst die klare Nummer eins bei der Browserwahl, verliert – und das kontinuierlich seit 2010. Wenn Mozilla im Browserbereich langfristig die große Bedeutung behalten will, muss im Produkt etwas geschehen, vor allem im Mobile-Bereich.
Uns bei goneo erschien und erscheint Thunderbird immer als ein absolut empfehlenswertes E-Mail-Programm, gerade für Online-Arbeiter, Freelancer, Webdesigner, die nicht in ein großes Unternehmen eingebunden sind, sondern schlanke, erweiterbare und flexible Software bevorzugen, die möglichst kostenlos verfügbar ist. Dazu kommt der Wunsch nach Individualisierung und Erweiterbarkeit. Alls das ist bei Thunderbird gegeben.
Konkurrenz durch viele E-Mail-Anwendungen
E-Mail ist ein basaler Internet-Dienst, der angesichts neuer Instant Messenger und Social Media Features schon oft tot geschrieben worden war. Allerdings ist E-Mail nach wie vor Kommunikationstool Nummer eins und die Menge an E-Mails, die tagtäglich durch das Internet gejagt werden, steigt anstatt zu sinken.
Weil Mail ein so grundsätzlicher Dienst ist, sind in vielen Betriebssystemen Mail-Clients tief integriert, wobei jeder Hersteller, sei es Apple oder Microsoft, eigene Lösungen nutzt. Viele User waren schon mit Outlook Express hinreichend versorgt und sahen gar keine Notwendigkeit, auf einen anderen Client umzusteigen, wenn der nicht Mehrwerte bieten könnte. Zählt man zusammen, welche E-Mail-Clients einem einfallen, kommt man auf eine weit höhere Zahl als bei Webbrowsern.
Im Businessbereich hat sich Outlook aus dem Microsoft Office-Paket etabliert, das zwar recht behäbig daherkommt, aber eben besonders gut mit der Microsoft-eigenen Exchange-Serversoftware funktioniert und mit allerlei Microsoftprodukten integriert ist. Außerhalb der Microsoftwelt waren eher die Protokolle POP3, SMTP (für den Versand) und später IMAP von großer Bedeutung.
Die Features in Mailanwendungen entwickelten sich weiter. Kalenderfunktionen für das Terminmanagement, auch mit einer Gruppe, gehörten bald zum Standard, genauso wie das Management von Kontakten. Filterregeln und Ordnerstrukturen gehören ebenfalls meist zur Grundausstattung eines Mail-Clients.
Parallel dazu wuchs der Bedarf nach neuen Kommunikationsfeatures und -umgebungen. Aus einem Kontaktmanagement erwuchsen Customer Relationship Management Systeme (CRM). Für die Zusammenarbeit in Gruppen hat sich eine Softwaregattung names Groupware etabliert. Zudem wird sowohl privat als auch geschäftlich viel über diverse Messenger kommuniziert.
Heutige E-Mail-Anwendungen haben Elemente all dieser Systeme ebenfalls an Bord. In Thunderbird zum Beispiel ist in ein Chat-Feature integriert, das Kommunikation über Twitter, Google Talk, XMPP und IRC mit vielen Teilnehmern ermöglicht.
Für eine Anwendung, die sich auf E-Mailing konzentrieren will, so wie Thunderbird, ist es daher gar nicht so einfach zu entscheiden, welche Funktionen nun in ein solches Programm aufgenommen werden sollen und welche nicht. Wo endet E-Mail und wo beginnt CRM oder Groupware? Was braucht der Desktopanwender, was der Smartphoneuser?
Dazu kommen viele Sicherheitsaspekte, die sich in der Softwareentwicklung niederschlagen müssen. Dies sind etwa Anti-Spam-Maßnahmen, Verschlüsselungsmethoden, Anti-Phising-Funktionen und Identitätsschutz. In allen Punkten ist Thunderbird gut aufgestellt und eine Allroudmailanwendung für den Desktop. Andererseites sind proprietäre Lösungen oft genau so gut und profitieren von der Integration in das Betriebssystem, was bei Mailsynchronisation, Suchfunktionen und Gruppenzusammenarbeit Vorteile bringt. Für kommerzielle Betriebssysteme ist E-Mail Teil des Ökosystems.
Das stellt die Produktentwicklung von Tools wie Thunderbird vor Herausforderungen: Man kann die Funktionen nicht beliebig ausweiten, dies geht oft auf Kosten von Qualität, Sicherheit und Handhabbarkeit auf Userseite, andererseits muss man auch Features bieten, die Alleinstellungsmerkmale sind – schließlich soll sich der User für Thunderbird und gegen das vorinstallierte E-Mail-System entscheiden.
Lange Versionsgeschichte
Die erste Version des E-Mail-Programms Thunderbird erschien 2003. Die Nummer der aktuellen Version ist 52. Allein daran erkennt man, die Innovation, die in diesem Projekt steckt. Allerdings gab es auch einige größere Sprünge wie von 31 auf 38 im Jahre 2015 oder von 38 auf 45.
Sieht man sich die Versionsgeschichte an, erkennt man einen guten Anteil an Stabilitäts- und Sicherheitsreleases, doch besonders in den Jahren zwischen 2007 und 2013 sind viele Funktionen und Integrationen hinzugekommen. Ab 2014 dominieren Servicereleases. Dies war das Ergebnis der erklärten Produktpolitik der Mozilla Stiftung in Sachen Thunderbird. Immerhin kann Thunderbird durch viele verfügbare Add-ons erweitert werden.
Das hat Thunderbird zu einer sehr soliden, sicheren und performanten Anwendung werden lassen, doch sicher hat das Fehlen neuer Features einen gewissen Argwohn hinsichtlich der Zukunftsfähigkeit von Thunderbird erzeugt. Immerhin nutzen mehr als 10 Millionen User die Software aktiv. Diese Zahl basiert auf einer Auswertung von Mozilla und unterschätzt die tatsächliche Anzahl der User aufgrund der verwendeten Methodik.
Die Optik der aktuellen Version von Thunderbird ist teilweise als altbacken verschrien. In Sachen Design ist der User inzwischen eben anderes gewohnt. Joy of Use und User Experience, also die affektive, emotionale Bewertung des Users beim Arbeiten mit dem Produkt sind ebenso bedeutsam für den Erfolg des Produkts wie die Funktionen an sich. Dankenswerterweise ist Thunderbird aber auch in dieser Hinsicht offen und lässt sich auch was das Grafikfrontend (GUI) betrifft, verändern. Einige Projekt haben sich dem angenommen. Große Chancen dürften sich in einer einfach zu handhabenden integrierten Ende-zu-Ende-Mailverschlüsselung ergeben. Vielleicht wäre auch eine Archivierungsfunktion für E-Mails eine interessantes Feature. Bisher tendieren User dazu, den Speicherplatz auf dem Mailserver als Archiv zu nutzen. Doch auch Gigabytes von Speicherplatz sind irgendwann aufgebraucht. Zudem ist die Archivierung von geschäftlichen Mails seit einiger Zeit gesetzlich vorgeschrieben.
Zukunft in der Mozilla-Organisation gesichert
Auf absehbare Zeit ist die Organisation unter Mozilla gesichert. Steuerlich und rechtlich bildet die Mozilla Stiftung den Rahmen. Als Entscheidungsgremium wird ein Rat eingerichtet, das Thunderbird Council. So wie sich die Ankündigungen lesen, wird dieser Rat Entscheidungen für die Weiterentwicklungen treffen, was nicht ohne eine entsprechende Budgetausstattung vorstellbar ist. Woher Geld für Thunderbird kommt, lassen die aktuellen Ankündigungen über das organisatorische Setup nicht erkennen.
Klar erscheint aber, dass Thunderbird Geld braucht. Seit einiger Zeit können User direkt Geld spenden, was alleine nicht ausreichen dürfte. Auch Open-Source bedeutet nicht, dass ohne ohne Geld entwickelt wird. Das Vermögen der Mozilla Stiftung wurde 2010 mit 27.59 Millionen US-Dollar angegeben. Im Jahresbericht 2015 sind unter Einnahmen und Ausgaben Werte um 400.000 Dollar zu lesen. Bei einer ähnlichen Konstruktion, der Apache Foundation liest am Zahlen um die 1,8 Millionen Dollar in der Jahressteuererklärung.
Was die technische Infrastruktur für die beiden Projekte Firefox und Thunderbird betrifft, will man getrennte Wege gehen. Das kann bedeuten, dass Entwicklungskosten steigen, Teams müssen neu koordiniert werden, eine neue Roadmap muss her und die Kommunikation muss verändert werden.
Möglicherweise könnte sich Thunderbird einen kommerziellen Arm zulegen, etwa nach dem Vorbild von ownCloud oder auch WordPress, indem bestimmte Features oder Add-ons, die als optional verwendet werden können, anbietet. Oder man greift zu Sponsorship-Modellen wie dies ja auch die Apache-Foundation praktiziert. Wir werden das weiter beobachten. Zeit, für Thunderbird zu spenden: https://donate.mozilla.org/de/thunderbird/
Kann ich Thunderbird auch mit Adresse t-online.de nutzen?
klar.